Die Nadel – Entwurf eines klimaneutralen Museums für die Lausitz

Annabelle Hoffman, Arina Nicoleta Niculescu, Cheuk Hang Trevor Lau, David Schwarz und Farell Eyerdam
(IEK/Prof. Bauer)

Angrenzend an einen Ort des „monumentalen“ Erdabbaus und in Verbindung mit einer beispiellosen Ausbeutung der Landschaft zielt der Entwurf „Die Nadel“ darauf ab, mit Hilfe von Architektur und landschaftlichen Eingriffen einen Ort des Erinnerns, der Repräsentation und der Reflektion zu schaffen. Die Landschaft, die durch die künstliche Wasserlinie des „Ostsees“ neu definiert wird, erinnert daran, dass der Seegrund einst Territorium und Arbeitsplatz von Menschen war - ein chronischer, schmerzhafter „Schorf“ auf der Haut unserer Erde, der einfach nicht verschwinden will.

Die Akzeptanz dieser Realität wirft eine Frage auf: Wie kann man als Entwerfer und Planer überhaupt mithelfen, diesen Schaden zu beheben?

Die Arbeit wurde mit dem 1. Preis des VDI-Wettbewerbs 2024 ausgezeichnet und ist zudem für den Heinze Award 2024 nominiert.

STÄDTEBAU UND LANDSCHAFT

Angelehnt an die „Touch the Earth lightly”-Philosophie des australischen Architekten Glenn Murcutt integriert sich die Nadel völlig unspektakulär in die Umgebung, ohne dabei diese zu irritieren. Mit ihrer schlanken Form, die aus einer Lücke alter Bäume heraussticht, verweist sie auf die Geste des „Strickens“ als eine mögliche Form der Reparatur, und damit eine kunsthandwerkliche Ausdruckform, für die die Sorben und Wenden der Region bekannt waren. In seiner einfachsten Form benötigt man zum Stricken nur drei Elemente: Zwei Nadeln als Werkzeug, Garn als Material und die Bewegung der Hände im dreidimensionalen Raum als Prozess der Entstehung.

„Die Nadel“ greift diesen Prozess auf und richtet sich an einer X-, Y- und Z- Ebene aus.

Mit seinem 120 m langen Baukörper spannt sich das Museum in die Y-Achse zwischen dem Aussichtsturm und dem angrenzenden Hotel. Durch die entstehende Drehung des Baukörpers zur Uferkante öffnet sich das Ende zur Promenade, wodurch nun zwei Plätze an den Längsseiten des Museums entstehen.

Weiterhin ermöglicht die städtebauliche Setzung des Gebäudes, dass ein Großteil der alten Bäume auf dem Grundstück erhalten bleiben kann. Sie befinden sich hauptsächlich auf der zum Wasser hingewandten Gebäudeseite und prägen die Naturterrassen, die den Höhenunterschied zur Uferpromenade sanft ausgleichen. Auf der gegenüberliegenden Seite nimmt die Außenausstellung Ihren Platz ein. Fernab der lebhaften Hafenpromenade lädt dieser Bereich ankommende Besucher ein und bietet einen ersten Einblick in die Ausstellung des Carboneums. Durch die Ausrichtung entlang des Museums nimmt er Bezug zum Baukörper und bietet ausreichend Platz für Großexponate.

Die Achse der historischen Bahntrasse bekommt ebenfalls eine zentrale Bedeutung. Durch eine leichte Krümmung wird der ankommende Besucher in Richtung des Museums geleitet. Diese X- Achse bildet eine wichtige Erschließung des Hafenquartiers, die alle Bereiche miteinander verknüpft und wird durch Ihre Verlängerung über die Uferpromenade hinaus akzentuiert. Mit einer symbolischen Länge von 136 Metern repräsentiert der Steg mit jedem Meter ein Dorf, welches von der Umsiedlung in Folge des Braunkohleabbaus betroffen war. Eine abstrahierte Skulptur am Ende des Steges bietet dem Besucher eine letzte Möglichkeit, die ökologischen und sozialen Eingriffe in die Landschaft der Lausitz zu reflektieren.

MUSEUM UND ABLÄUFE

An der Schnittstelle der X- und Y- Achsen befindet sich das „Nadelöhr“, das als Eintrittspunkt in das Museum fungiert. Über das zentrale Foyer erreicht der Besucher alle Bereiche des Gebäudes. Den Beginn der Ausstellung im 3. Obergeschoss erreicht der Besucher über einen Aufzug. Dort befindet sich die Ausstellung zur sorbisch-wendischen Kultur und Tradition. Das Satteldach bildet das charakteristische Raumelement, das an die Bautraditionen der Sorben und Wenden erinnern soll.

Von der Sorben- und Wenden-Ausstellung aus führt der Weg durch das Museum über die lange Treppe, die die Z-Achse definiert, mit Zwischenstopps in der geologischen und industriellen Ausstellung und in der Strukturwandel-Ausstellung, die einen Panoramablick über den Cottbusser Ostsee bietet und auf mögliche Zukunftspotenziale der Region verweist. Trotz der vorgegebenen Reihenfolge bieten Break-Out Rooms zwischen den Ausstellungsräumen den Besuchern die Möglichkeit, eine Pause einzulegen oder ihre Route durch das Museum zu ändern. Die Besucher, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind, erhalten durch das Museumkonzept eine nahezu identische Besucherwahrnehmung.

Die temporäre Ausstellung, die von den Museumskuratoren in zwei Teile geteilt werden kann, kann entweder am Ende der gesamten Tour oder mit eigenem Zugang als separater Besuch besichtigt werden.  Zum Abschluss können die Besucher wählen, ob sie einen Blick in das offene Archiv werfen oder die Außenausstellung über die Arkade im Erdgeschoss besuchen möchten. Ansonsten bietet das Café eine Gelegenheit zum Abschließen des Besuchs.

KONSTRUKTION

Das als Rahmentragwerk ausgeführte Holztragwerk trägt über die vertikalen Stiele  und die horizontalen Riegel die Lasten des Gebäudes ab.

Der zentrale Treppenkern aus recyceltem Mauerwerk dient als zentrales Verbindungselement und unterstützt die Stützen bei der vertikalen Lastabtragung. Seine Position im Gebäude reduziert die Spannweite, ermöglicht kleinere Trägerquerschnitte und schafft nahezu stützenfreie Ausstellungsflächen. Zudem sorgt er für die Aussteifung in Längsrichtung.

Die Rahmenstruktur des Gebäudes wird durch eine von außen sichtbare Pfostenkonstruktion mit eingeschobenen Lamellen hervorgehoben, die auch dazu dienen, den Lichteinfall in das Gebäude zu regulieren.

Der Stampflehmboden, der durch eingelassene Heizleitungen ein angenehmes Raumklima schafft, verleiht dem Raum mit seiner Farbgebung ein lebendiges und dezentes Erscheinungsbild.

Das Stehfalzdach des Gebäudes verfügt über integrierte PV-Paneele, die farblich auf die karbonisierte Holzfassade abgestimmt sind.

Um die Bodenversiegelung zu reduzieren und den Einsatz von Beton zu minimieren, ist das Gebäude über dem Boden aufgeständert. Bei der Planung des Tragwerks wurde großer Wert auf die Klimaneutralität des Gebäudes gelegt, sowie auf die Kreislauffähigkeit der Materialien und Bauteile. Durch das Verwenden von nachhaltigen Rohstoffen aus der Region, wie Holz, Lehm und recyceltes Mauerwerk der umliegenden Werkssiedlungen wurde auf lange Transportwege verzichtet.

HAUSTECHNIK

Zusätzlich zu den integrierten Sonnenkollektoren auf dem Dach wird der Energiebedarf des Gebäudes durch die Nutzung lokaler grüner Energiequellen des Cottbuser Ostsees, wie z.B. des bestehenden Windparks, sowie der geplanten schwimmenden Solaranlage und der Seewasserwärmepumpe ergänzt.

Eine im Boden eingelassene Zisterne sammelt Regenwasser, das für die Bewässerung der Grünflächen und die Toilettenspülung genutzt wird, während das natürliche Geländegefälle als Wasserableitung dient.

Ein hybrides Lüftungssystem schafft im Museum ein angenehmes Raumklima. In den Ausstellungsräumen wird eine mechanische Lüftung integriert, während die kleineren Räume durch natürliche Lüftung versorgt werden.

Über in den Stampflehmboden eingelassene Heizleitungen kann das Gebäude im Winter mit einer Seewasserwärmepumpe beheizt und im Sommer gekühlt werden. Zusätzlich ermöglicht Regenwasser aus der unterirdischen Zisterne im Sommer einen adiabatischen Kühlungseffekt. Dabei wird die warme Abluft befeuchtet, wodurch diese abkühlt. Diese kühlere Luft gibt ihre Temperatur über einen Wärmetauscher an die warme Zuluft ab, die dann zur Kühlung der Ausstellungsräume genutzt wird.

Betreuer*innen: 
Prof. Dipl.-Ing. Martina Bauer, Prof. Dipl.-Ing. Jürgen Schreiber, Dr.-Ing. M.Sc. Franz Arlart, M.Sc Mareike von Arnim

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