Der Kauf eines Einfamilienhauses bildet eine Wegmarke im Leben vieler Menschen in Deutschland. Ablesbar wird dies dadurch, dass in Deutschland über 50 Prozent der Menschen in Ein- oder Zweifamilienhäusern leben. Aber was passiert, wenn die Phase der jungen Familie vorbei ist? Das Wohnen in der Nachfamilienphase zeigt die Inflexibilität der Einfamilienhäuser. Die Eltern leben auf zu viel Wohnraum und das dem früheren Leben angepasste Haus kann anfangen, Barrieren zu bilden. Gleichzeitig weisen die Einfamilienhaussiedlungen wenig Möglichkeiten zur Unterstützung beim Älterwerden oder zum Umzug in eine passende Wohnform auf. Die Auseinandersetzung mit dem Alter wird erst real, wenn die herausfordernde Wohnsituation allein nicht mehr zu bewältigen ist. Zusätzlich kann es Barrieren auf städtebaulicher Ebene geben. Aber auch die Ideen des positiven Alterns müssen in Wohnortnähe auffindbar sein. Deshalb wird deutlich, dass nicht allein die Wohnungsfrage, sondern die Betrachtung der Stadtteilebene für ein altersgerechtes Lebensumfeld entscheidend ist. Um Lösungsansätze für diese Herausforderungen zu finden, soll in der Masterarbeit der Frage nachgegangen werden, wie Einfamilienhaussiedlungen weiterentwickelt werden müssen, damit ein Leben im Alter so lange wie möglich selbstbestimmt und selbstständig geführt werden kann. Ziel der Arbeit ist ein städtebaulicher Maßnahmenkatalog zur Weiterentwicklung der Einfamilienhaussiedlungen im Stadtteil Büchenbach-West in Erlangen. Dabei wird zunächst eine theoretische Grundlage mit Grundsätzlichem zum Altern in Deutschland geschaffen. Daraufhin werden die vier städtebaulichen Handlungsfelder des Maßnahmenkatalogs und ihre Reichweite veranschaulicht. Danach folgt die Problemanalyse des räumlichen Anwendungsgebiets in Erlangen. Auf Basis der Analyse werden die Ziele für die Weiterentwicklung dargestellt und darauf der Maßnahmenkatalog aufgebaut. Zum Schluss wird der Maßnahmenkatalog durch Anwendungsbeispiele räumlich eingeordnet.
Zur Einarbeitung ins Thema, fand eine Recherche zu Grundsätzlichem im Altern in Deutschland statt. Basierend auf dieser Recherche wurden vier städtebauliche Handlungsfelder entwickelt, die den Rahmen des Maßnahmenkatalogs beschreiben. Das Handlungsfeld der Wohnung ist hervorzuheben, da sich das Leben im Alter meist aus der Öffentlichkeit zurückzieht und ein Großteil des Lebens in der eigenen Wohnung stattfindet. Die Wohnung wird zum räumlichen Mittelpunkt des Lebens und zeigt dabei die Identität des Menschen in Form der Einrichtung sowie in Form der Kompetenz, die noch vorhanden ist für eine selbstständige Lebensführung. Die Bedeutung des Wohnungsumfeldes lässt sich durch das Modell der Mensch-Umwelt-Beziehung erklären: Durch einen Kompetenzverlust im Alter steigt der Druck auf die bestehende Umwelt. Diese kann als Unterstützung oder Barriere dienen und somit Defizite ausgleichen oder Barrieren ausbilden. Das Handlungsfeld der Versorgung und der Unterstützung ist von Bedeutung, um die Selbstständigkeit zu erhalten. Dies kann in Form einer wohnraumnahen Versorgung unterstützt werden. Zusätzlich kann die Selbstbestimmung mittels eines breiten Angebots im Bereich der Unterstützung gefördert werden. Das Handlungsfeld der sozialen Netze und der Teilhabe ist von großer Bedeutung, da die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben fit hält, Einsamkeit und Isolation vorbeugt. Zusätzlich kann die Förderung der sozialen Netze gesellschaftliche Potenziale aktivieren, zum Beispiel in Form von Ehrenamt.
Bei der Analyse der Ausgangssituation des Stadtteils Büchenbach-West in Erlangen wurden neun Altershürden erkannt: die Ausrichtung auf die Zielgruppe der jungen Familien im Stadtteil, die Altershürde des Einfamilienhauses, die Hürde der Orientierung in der monotonen Bebauungsstruktur der Einfamilienhäuser, die fehlenden Begegnungsorte, die fehlenden Freizeit- und Kulturangebote, die fehlenden Pflege- und Beratungsangebote, die Ausrichtung auf den motorisierten Individualverkehr, die Nahversorgungssituation sowie die körperliche Belastung durch die Sommerhitze.
Der Maßnahmenkatalog besteht aus vier Handlungsfeldern, 16 Leitzielen und 46 Maßnahmen. Die Leitziele sind den Handlungsfeldern zugeordnet und gelten als Zielsetzungen, um den Altershürden entgegenzuwirken. Die Maßnahmen sind die einzelnen Handlungsanweisungen, um die Leitziele zu erfüllen. Eine Codierung aus Farbgebung und Nummerierung macht dies ablesbar. Der Maßnahmenkatalog muss immer als Ganzes gesehen werden, da er durch Synergien und Abhängigkeiten geprägt ist. Um bei den 46 Maßnahmen den Fokus auf die Unverzichtbaren nicht zu verlieren, werden sie nach der Relevanz bewertet. Die Maßnahmen im Handlungsfeld Wohnen erfüllen die Ziele der Anpassung der planungsrechtlichen Grundlage, der Differenzierung des Wohnungsangebots, der Ausbau der Barrierefreiheit im Wohnraum und der Entwicklung eines Bewusstseins für die Wohnsituation im Alter. Im Handlungsfeld des Wohnungsumfeldes beschreiben die Leitziele die Barrierefreiheit, eine altersgerechte Mobilitätsstruktur, neue öffentliche Treffpunkte und die Anpassung an die Klimaveränderungen. Das Handlungsfeld der Versorgung und der Unterstützung behandelt den Aufbau eines differenzierten Pflegeangebots im Quartier, die Integration von Hilfe und Unterstützungsangebote, den Aufbau von Beratungsangeboten und den Ausbau der Nahversorgungsangebote. Im Handlungsfeld der sozialen Netze und Teilhabe liegen die Ziele bei der Entwicklung eines generationenübergreifenden Kultur- und Freizeitangebots, der Förderung der Vernetzungsmöglichkeiten, der Aktivierung der gesellschaftlichen Potenziale und der Förderung von Partizipationsprozessen. Die mögliche Umsetzung zeigt im Bereich der Einfamilienhäuser die Themen der Nachverdichtung, der Integration eines Mobilitätskonzepts mit dem Fokus auf Sharing-Angeboten sowie die Integration von unterstützenden Wohnformen. Im Bereich des zentralen Versorgungsstandorts wird die Transformation zum neuen Stadtteiltreffpunkt verdeutlicht.
Die Maßnahme „M4.1 Auseinandersetzung mit Wohnformen im Alter“ wird durch ein Wohnformenquartett umgesetzt. Das Ziel des Spiels ist es, die Diskussion über verschiedene Wohnformen anzuregen. Es gibt acht übergeordnete Kategorien an Wohnformen mit jeweils vier Beispielen. Das Spiel ist für alle Generationen konzipiert. Die Wissensvermittlung findet anhand der QR-Codes auf der Rückseite der Spielkarten statt. Um weiter die Gedanken über eine passende Wohnform anzuregen, gibt es die Wunschwohnformen als leere Karten, die ausgefüllt werden sollen.
Zusammenfassend sind die Hauptaufgaben des Maßnahmenkatalogs, die Bereitstellung und Aufklärung über differenzierte Wohnungsangebote, die Möglichkeit zur Nutzung des Wohnumfeldes für alle Menschen, die eigenständige Erfüllung der alltäglichen Bedarfe und die selbstbestimmte Entscheidung über Unterstützungsangebote sowie die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Betreuerinnen: Prof. Dr. Laura Calbet Elias, Hon. Prof. Dr. Ulrike Scherzer
Die Arbeit wurde mit dem Student:innen Förderpreis des BDB Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure e.V. ausgezeichnet.
Auszug aus dem Juryprotokoll: „Das Erbe der Einfamilienhäuser: Der städtebaulich und architektonisch, gesellschaftlich und sozial nachhaltige Umgang mit dieser Bauform wird in der Ausbildung kaum thematisiert. Die Arbeit stellt sich mutig dieser Herausforderung und fokussiert dabei das Thema Älterwerden im Quartier. […] Der hier entwickelte Katalog mit intensiven und nicht-intensiven Maßnahmen […] zeigt auf, welche Transformationspotenziale in den monostrukturierten Bestandssiedlungen stecken, die einen großen Teil unseres Wohnungsbestandes ausmachen, aber kaum Gegenstand des Fachdiskurses sind.“