Architekturstudierende der Fakultät unterziehen sich einem Praxistest und bauen ein bau-
fälliges Gebäude in Stuttgart-Kaltental um.
Ein Holzgerippe lehnt am Mauerwerk der Thomaskirche in Kaltental. Lange, schmale Balken ragen
in die Luft, quer darüber zieht sich ein schräges Dach, das mit einer Plane gegen den Regen ge-
schützt wird: Was auf den ersten Blick etwas ausgehöhlt wirkt, ist in Wirklichkeit ein architektoni-
scher Neuanfang.
Denn das leer stehende Gebäude der evangelischen Kirchengemeinde war bereits seit einiger Zeit
vom Verfall bedroht - und erlebt jetzt eine zweite Chance. Entstehen wird aus dem Holzhaus, das
1997 direkt unter dem Kirchturm gebaut wurde, ein Ein-Zimmer-Appartement mit Terrasse und klei-
nem Garten, ruhig gelegen. Instandgesetzt und teilweise neu gebaut wird das Häuschen von Studierenden unserer Fakultät Die Kosten werden über Spendengelder der Evangelischen Gesellschaft finanziert.
"Das ursprüngliche konnte nicht mehr genutzt werden, unter anderem wegen eines Wasserschadens", erinnert sich Anja Thierfelder (IBK), wissenschaftliche Mitarbeiterin der Fakultät Architektur und Stadtplanung an der Universität Stuttgart. "Also haben wir das Gebäude komplett entkernt und verwandeln es jetzt Schritt für Schritt in einen multifunktionalen Wohnraum."
Gemeinsam mit 18 Studierenden gestaltet sie das sogenannte Refugium in Kooperation mit der
evangelischen Kirchengemeinde um. Das Ziel: Mitten in Stuttgart soll hier moderner, nachhaltiger
Wohnraum für eine sozial benachteiligte Person entstehen, die auf dem regulären Wohnungsmarkt
kaum Chancen gehabt hätte.
"Dieser soziale Ansatz hat viele von uns angesprochen", sagt Dorssa Ashena, die in ihrem Ab-
schlusssemester an dem Projekt teilnimmt. Gemeinsam mit ihren Mitstudierenden steht sie an die-
sem Nachmittag auf der Baustelle und trägt in Handarbeit das ursprüngliche Dach des Gebäudes
ab. "Mich begeistert es, so nah am Prozess sein zu können und jeden einzelnen Planungsschritt
mitzuerleben", führt sie aus.
Denn während im Hörsaal meist die Theorie im Fokus steht, macht die Neugestaltung des Refugi-
ums die gedachte Realität der Studierenden lebendig - vom Entwurf bis hin zum fertigen Objekt.
Seit April beschäftigt die Gruppe sich damit, das Refugium neu zu beleben.
In der Planung hieß das zunächst einmal, aus zahlreichen Ideen einen Gemeinschaftsentwurf zu
entwickeln: "Mein eigener Entwurf sah zum Beispiel ganz anders aus, aber meine Idee der funktio-
nalen Möbel hat es in den finalen Entwurf geschafft. Jeder von uns findet sich in einem Teil wie-
der", sagt Kasimir von Enzberg, ebenfalls Student und Teil des Projektteams.
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Schon zu Beginn war dem Team zudem klar, dass sie nachhaltige Materialien und die Idee der
Kreislaufwirtschaft ins Zentrum der Neugestaltung stellen wollten. "Ganz ließ sich das allerdings
nicht realisieren", so Anja Thierfelder.
In vielen der Materialien aus dem ursprünglichen Haus wurden zum Beispiel krebserregende Stoffe
entdeckt, sodass sie nicht weiterverwendet werden konnten. "Überall dort, wo wir mit dem Bestand
arbeiten konnten, haben wir es gemacht. Außerdem haben wir mit natürlichen Materialien, wie zum
Beispiel Lehm, gearbeitet", sagt Thierfelder.
Insgesamt ist das Haus rund 25 Quadratmeter groß und bietet Platz für einen Wohnraum, Schlaf-
und Badezimmer und eine Küchenzeile - inklusive einer multifunktionalen Schrankwand, die sowohl
als Küche, Raumtrenner und Stauraum dient.
Im Herbst soll der fertig sein, dafür setzen die Studierenden sich ein - und das mit vollem Einsatz.
"Hier wird alles selbst gemacht", erklärt von Enzberg und blickt auf die gerade freigelegten Dach-
balken. "Im nächsten Schritt kommt das Dach. Die neuen Balken wiegen jeweils rund 100 Kilo. Ich
bin gespannt, wie wir die da hoch bekommen." Das Projektteam ist überzeugt: Schon bald wird hier
jemand sein neues Zuhause finden. "Davor noch einmal durch das Haus zu laufen und zu sehen,
wie sich alles entwickelt hat: Darauf freue ich mich am meisten", sagt Kasimir von Enzberg.
Refugium
Das Holzhaus wurde 1997 an der Kaltentaler Thomaskirche gebaut. Wasserschäden haben dieses
Häuschen vor einiger Zeit unbewohnbar gemacht. Die damalige Erbauerin, die Stiftung Nestwerk,
ist inzwischen insolvent. Deshalb ist die Kirchengemeinde auf die Evangelische Gesellschaft eva
zugekommen, sagt Peter Gerecke, bei der eva Leiter der Abteilung "Dienste für Menschen in Ar-
mut, Wohnungsnot und Migration": "Die Instandsetzung dieses Häuschens hätte die Gemeinde fi-
nanziell nicht stemmen können."
Kooperation
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