Hanaa Dahy hat mit ihrem Team - als Gründerin und Leiterin der »BioMat«-Abteilung am Institut für Tragkonstruktionen der Universität Stuttgart - das Geländer der Flachsbrücke architektonisch entworfen.
Wie sie berichtet, war es ein Kodesign-Prozess mit den Statikern der TU Eindhoven und der Firma, die das Geländer schließlich mit Robotern hergestellt hat. Bioverbundwerkstoffe (Biokomposite) sind ein zentrales Forschungsthema von Dahy. Ihr erstes Patent von inzwischen mehreren erhielt sie für den Einsatz von recycelten Strohfasern im Bau.
»Stroh als Reststoff der Agrarindustrie wird weltweit leider viel zu oft verbrannt«, berichtet sie. »Dabei ist Stroh eine wertvolle Ressource, bei deren Einsatz in der Konstruktion man sogar in beiden Sektoren den CO -Fußabdruck reduziert: in der Landwirtschaft und im Bauwesen.« In Verbindung mit der maßgeschneiderten Faserplatzierung - einem digital gesteuerten Fertigungsprozess, den Architekten und Ingenieure aus der Textil- und Flugzeugbauindustrie übernommen und angepasst haben - konnten auch andere tragende Elemente wie Säulen oder Decken umgesetzt werden, erzählt Dahy. Oder Leichtbaupavillons, wie sie beispielsweise in Stuttgart und Freiburg zu besichtigen sind.
Die Teilnehmer des Brücken-Forschungsprojekts sind davon überzeugt, dass sie in Zukunft Brücken mit deutlich größeren Spannweiten und Lasten bauen werden. Dann könnte die Almere-Flachsbrücke als weltweit erstes Bauwerk dieser Art Schule machen, hoffen die Projektleiter: »Allein bei den Brücken lohnt es sich, über alternative Materialien nachzudenken, denn in den nächsten Jahren müssen in Europa zehntausende Brücken ersetzt werden.«
3-D-Druck mit Flachs oder Hanf
Dank solcher Drucktechniken mit weniger Energie, Rohstoffen und Treibhausgasemissionen zu bauen, ist auch das Ziel anderer Forschungsgruppen. Eine Bewegung für nachhaltiges Bauen gibt es in der Architektur schon lange. Inzwischen nutzt sie ebenfalls digitale Verfahren - in Kombination mit nachwachsenden Rohstoffen. Daran arbeiten etwa die Architekten, Ingenieure und Biologen zweier Exzellenzcluster an den Universitäten Stuttgart und Freiburg interdisziplinär zusammen.
Wie 3-D-Druck mit Naturfasern funktioniert, zum Beispiel mit Flachs, Stroh oder Hanf, ist eines der Forschungsgebiete der deutsch-ägyptischen Architektin Hanaa Dahy, die sich für einen Bottom-up-Ansatz ausspricht: »Erst untersuchen, welches schnell wachsende Material in der Region vorhanden ist. Dann überlegen, was und in welcher Form damit gebaut werden kann.« Für robotergestützte und digitale Fertigungstechniken wählt die assoziierte Professorin für nachhaltiges Design und integrierte Technologie an der Universität Aalborg in Kopenhagen bevorzugt schnell wachsende Rohstoffe - und kein Holz. Es sei denn, es handelt sich um »Abfälle« von Sägewerken, etwa Holzpulver, das man als Füllstoff zusammen mit Biokunststoffen verwenden kann.
Dass sich auch mit Pflanzenfasern aus Flachs in Kombination mit 3-D-Fertigung eine erstaunliche Tragkraft erzielen lässt, zeigen drei Stadtbrücken für Fußgänger und Radfahrer. Sie entstanden im Rahmen des EU-Projekts »Smart Circular Bridge«. Die erste der drei Bioverbundwerkstoff-Brücken wurde 2022 im niederländischen Almere auf der Internationalen Gartenbauausstellung Floriade eingeweiht. Sie ist 15 Meter lang und trägt das Gewicht von rund 275 Personen gleichzeitig. Ein Konsortium verschiedener niederländischer und deutscher Hochschulen unter Leitung der Technischen Universität Eindhoven baute sie aus Flachs und einem speziellen Bioharz. Das Material ist trotz seines geringen Gewichts sehr stabil und hat vergleichbare Eigenschaften wie Aluminium oder Leichtstahlbau. Die Flachsbrücke ist mit fast 100 Sensoren ausgestattet, die in Echtzeit Daten über das Materialverhalten im alltäglichen Gebrauch liefern und mit Hilfe künstlicher Intelligenz ausgewertet werden.